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19. Januar 2022
HFK-Update Architektenrecht: Rolle rückwärts beim Preisrecht der Architekten und Ingenieure-Aufstockungsklage weiter möglich!
Der EuGH hatte die Frage zu beantworten, ob die bis zum Inkrafttreten der neuen HOAI 2021 geltenden, verbindlichen Mindestsätze bei Altverträgen trotz des EuGH-Urteils vom 04.07.2019 (C-377/17) weiterhin angewendet werden können oder nicht. Die Mindestsätze der HOAI können zwischen Privatpersonen weiterhin angewendet werden, EuGH-Urteil vom 18.01.2022, C-261/20. Der EuGH bejaht dies überraschend und in Abweichung zu den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 15.07.2021.
Der Auftraggeber hat mit dem Auftragnehmer (Ingenieur) einen Ingenieurvertrag über HOAI-Leistungen zu einem Pauschalhonorar abgeschlossen.
Nach Kündigung des Auftragnehmers rechnete dieser sein Honorar für die erbrachten Leistungen auf Grundlage der in § 7 HOAI genannten Mindestsätze ab, welches das Pauschalhonorar überstieg. Da keine Zahlung erfolgte, erhob er Klage auf Zahlung des noch geschuldeten Betrags. Der Rechtsstreit wurde bis zum BGH fortgeführt. Dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH unter anderem folgende Frage vorgelegt:
Folgt aus dem Unionsrecht, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 lit. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfaltet, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI, wonach die in der HOAI statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen der Architekten und Ingenieure verbindlich sind und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind?
Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht dem nicht entgegensteht und damit die Mindest- und Höchstsätze weiterhin Geltung haben.
Das Unionsrecht sei dahingehend auszulegen, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 lit. g und Abs.3 der Richtlinie 2006/123 Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.
Allerdings hat das Gericht die Möglichkeit, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen.
Damit sind anhängige Aufstockungsklagen zwischen Privatpersonen als Parteien nicht durch das EuGH-Urteil vom 04.07.2019 erledigt. Ob neue Aufstockungsklagen auf Basis der HOAI 2013 noch erfolgversprechend sind, ist eine andere Frage. Nicht nur die Verwaltungsbehörden, sondern auch die Gerichte sind verpflichtet, die Geltung des Unionsrechts herbeizuführen bzw. zu erleichtern. Es ist daher denkbar, dass in diesen Fällen die Mindestsätze nicht mehr anzuwenden sind. Denn der EuGH gibt den Gerichten ausdrücklich an die Hand, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen des Unionsrechts Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls aus eigener Entscheidungsbefugnis die Mindestsätze nicht mehr anwendet, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg beantragen oder abwarten müsste.
Interessant ist der ausdrückliche Hinweis des EuGHs, dass eine Partei, die aufgrund einer solchen Klage „Aufstockungshonorar“ zahlen muss, die Möglichkeit hat, die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, weil diese die rechtzeitige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie versäumt hat (siehe EuGH Urteil vom 04.07.2019, C‑377/17).
RA Dr. Florian Schrammel, RA Armin Heisiep und RA Daniel Mooser, HFK Rechtsanwälte